Besinnung: Not lehrt beten
Wenn sich ein Unfall ereignet werden die Rettungskräfte alarmiert. In besonderen Fällen ruft die Rettungsleitstelle auch Notfallseelsorger hinzu.
Wenn mich ein solcher Anruf erreicht lasse ich alles stehen und liegen und ziehe mir die Weste an, die mich als Notfallseelsorger kenntlich macht. Während ich diese Weste anziehe bete ich. Man kann zum Gebet nicht jedesmal die Hände falten. Ich bete für die mir noch unbekannten Beteiligten, für die Rettungskräfte vor Ort und für die betroffenen Angehörigen. Ich bete auch um Gottes Heiligen Geist, damit ich die nötige Umsicht und Gelassenheit empfange.
Dann geht es los. Wenn der Seelsorger eintrifft haben erfahrene Rettungskräfte schon vieles geregelt. Die Weste macht mich kenntlich. Unabhängig von meiner Person kann ich auf tiefes Vertrauen aufbauen – so wie man den Notarzt nicht persönlich kennen muß oder die anderen Einsatzkräfte vor Ort. Jeder darf sich darauf verlassen, daß wir auf unterschiedliche Weise gemeinsam handeln zum Besten der Betroffenen.
Während ich dies schreibe sehe ich Bilder vor meinem inneren Auge. Wie ich über einen Toten gebeugt ein Gebet spreche, wie ich mich den Einsatzkräften zuwende, Angehörige an das Geschehen heranführe. Ich denke daran, wie ich dem Streifenwagen folge und wir gemeinsam vor Haustüren stehen, mit dem Wissen, daß für die Angehörigen gleich eine ganze Welt zusammenbrechen wird.
Man könnte denken, daß man in solchen Erfahrungen von Gott verlassen sei. Doch das Gegenteil ist der Fall. Christus ist dabei, wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind.
Bereits Jesus wußte, daß Menschen nur in den seltensten Fällen die Nähe Gottes suchen, wenn es ihnen gut geht, etwa wenn sie sich gerade ein neues Auto gekauft haben. Damals war es eher ein Ochsengespann als ein modernes Fahrzeug, aber die Grundhaltung der Menschen ist gleich geblieben. Eher betet man am Straßenrand in der Erinnerung an ein Fahrzeugwrack.
Erst im Nachhinein erfahre ich, wie hilfreich das Gebet war, ob mit oder ohne Worte gesprochen. So hat sich nicht nur für mich, sondern für viele die Erkenntnis herausgebildet: Not lehrt beten. Denn dieses Gebet hilft, aus tiefer Not heraus das Leben neu zu wagen. Aus solchen Erfahrungen heraus gewinne ich die Zuversicht, daß Gott auch beim nächsten mal dabei sein wird, wenn jemand Hilfe herbeiruft. Denn wir stehen unter dem Zuspruch Jesu Christi:
„Kommt her zu mir, alle, die ihre mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
Pastor Eckhard Kruse aus Gartow