Besinnung: Ihr seid das Licht der Welt
Zuerst fiel mir das Licht auf. Als ich mich auf den angebotenen Platz setzte ließ ich meinen Blick über den Raum gleiten. Links von mir das Bücherregal, daneben ein Bild mit einer Heide – Landschaft. Vor mir eine Gruppe von Familienphotos. Der ganze Raum leuchtete von dem warmen Licht der tiefstehenden Herbstsonne. Die Angehörigen hatten mich hierher gebeten. In ihrer Wohnung waren wir ihr nahe. Gleichzeitig spürten wir, daß diese liebevoll gepflegte Wohnung zu einer leeren Hülle geworden war. Mittwoch hatte die Großtante noch gelebt. Sie hatte nach dem Frühstück telefoniert, war sogar im Dorf unterwegs gewesen. Nun führten wir ein Gespräch zur Vorbereitung ihrer Trauerfeier. Das erschien uns allen ganz unwirklich.
Wir erinnerten uns an ihr Lächeln, an die Spuren des Lebens in ihrem Gesicht. Schwere Erfahrungen waren bewältigt worden und hatten dieses Menschenleben unverwechselbar werden lassen. Im Krieg verwitwet hat sie sich ganz für ihren Sohn eingesetzt, bis er viel zu jung durch einen Unfall verstarb. Ein solcher Satz müßte Stoff für ein ganzes Buch geben. Wie können wir einem Menschen durch unsere Worte wirklich gerecht werden, wenn wir sein Leben in Kürze beschreiben wollen?
Sie war für uns alle eine besondere Frau. Sie konnte zuhören. Man konnte offen mit ihr sprechen, auch über eigene Probleme. Die Wahrheit hat ihr keine Angst gemacht. Sie hat alles Wissen über andere stets zum Guten verwendet. Sie machte nicht viele Worte. Was sie sagte hatte Sinn, und es tat gut, mit ihr zu reden. Unterschiedliche Meinungen konnte sie zulassen. Irgendwie schaffte sie es immer, ihren Leitsatz zu erfüllen: „Laßt die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.“ Diese und andere Anregungen aus der Bibel für ein gelingendes Leben waren für sie kein moralisches Gesetz. Es waren für sie Empfehlungen, im Alltag zurecht zu kommen. Man merkte ihr eine innere Gelassenheit an. Frieden war in ihr, und ging von ihr aus. Es tat gut, mit ihr in einem Raum zu sein.
Der Satz Jesu kam mir in den Sinn: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Ja, unsere Großtante war ein Licht für uns und für ihre Umgebung, stimmten mir die Angehörigen zu. Vielleicht weil sie gerade so viele dunkle Erfahrungen gemacht hat? Der Glaube hat ihr geholfen.
Auf dem Heimweg gingen mir Fragen durch den Sinn. Was kann man eigentlich selbst dazu beitragen, daß das Leben gelingt? Und wenn es gelingt, verdanken wir uns das dann selbst, oder ist es ein Gottesgeschenk?